Kleiner Ausflug in den Großen Kaukasus
Маленький поход в Большой Кавказ

von Oliver König (der im August 2006 den Text verfasste),
Peter Mayer, David Stachelberger und Hannes Macherhammer
Juni 2006


 

Uschba, das zweihöckrige Kamel

Sind wir willkommen,
Tschatyn Tau?

Akklimatisations-Idylle

Überm Eisfall braut sich was zusammen

Prolog.

Unbändiges in Worte fassen?
Ein Stifter konnte es noch wagen, tief im Neunzehnten.
Aber heute? Kurz ist gefragt. Gehaltvoll. Atmosphärisch dicht.
Ich kapituliere. Und suche Rat bei der so oft unterschätzten Erika Fuchs .

Rrrrrrrooouuuuuummmmmmmmm---mmmmmm--mmmm--mm...

Und schon bin ich Kind. Ein Kind, das sich einigelt, im wütenden Graupelwirbel, das die Augen nutzlos zukneift, während die Nacht zerreißt.
Herr, mach, daß es aufhört.
Es ist die Stunde, da auch Atheisten Don Camillo entdecken.
Auf viertausend Metern. Unter sturmgepeitschter Plane.
Im Schutz der Nacht pirscht sich der Zweifel an.
Was habe ich eigentlich hier verloren?

- einundzwanzig -

Was für ein Fehler, heute nicht abzusteigen!

- zweiundzwanzig -

Trommelwirbel. Morgen ist die Spur garantiert weg.
Und der Schistock, der die Abseilstelle markiert?

- dreiundzwanzig -

Swanetischer Höhentrog, sagt der Meteorologe.
Sautrog, denke ich.

Rrrrrrrooouuuuuummmmmmmmm---mmmmmm--mmmm--mm...

Danke, Erika.


Pik Schtschurovski

Uschba-Eisfall

Unterwegs in den Eisfall, im Hintergrund der Elbrus

Schidepot im Trümmerfeld

Milchsuppe. Wie befürchtet. Die Spur weg. Die Welt weg.
Peter sucht am gespannten Seil den Rand des Plateaus. Schneeregen über dem Eisfall. Nächster Stand fünfzehn Meter unter uns auf der anderen Seite der verstürzten Spalte. Abseilen nur für den pendelstarken Tarzan. Ob das der vergrabene Zeltsack-Anker im aufgeweichten Schnee aushält?

Also doch besser Abklettern über wackelige Blöcke auf schmalem Eisband, dorthin, wo sich die Spalte schließt. Steileisplatte. Steigeisens Frontzacken krallen sich ängstlich in glitschiges Blau. Geschafft. Ausseilen. Eisgeräte für den Nächsten aufseilen. An Kanten verkeilte Rucksäcke mit Horuck freireißen und abseilen. Alles wie aus dem richtigen Leben.

Das Lehrbuch aber schauderts still im Schrank daheim, es wußte sowieso schon immer alles besser, wär hier auch niemals raufgekommen.

Die rissige Eiswand neben mir knackt. Ich fahre zusammen. Es ist zu warm. Darunter der Eiskanal im Trümmerfeld. Da sind wir heraufgekommen? Erst jetzt, im Profil, bemerke ich, wie stark der zerrissene Panzer überhängt. Jeder Seufzer des Eisfalls kann die Welt schlagartig verändern. Und uns? Eine Stunde lausche ich dem Lied des Eises. Endlich sind alle Rucksackträger bei mir. Nur der Zeltsack nicht.


Da rauf? Muß das sein?

Ein Tanz auf schwankendem Eis

Der muß auch noch rauf

Unterwegs zum Polster

Dafür, daß David und Hannes wenig Erfahrung im blanken Eis haben, machen sie sich gut. Trotzdem, es war die richtige Entscheidung, auf den Uschba-Gipfel zu verzichten. Vierhundert Höhenmeter, um die fünfzig Grad, ohne Firnanker, nur mit sechs Eisschrauben und einem Eisgerät pro Mann - wir belassen es beim Akklimatisationsaufenthalt. Die Aussicht ist auch vom Plateau aus grandios. Neben den wildgezackten schwarzen Schkelda Türmen drängt sich die schneeweiß glitzernde Elbrust ins Blickfeld - und hält immer häufiger ihren Busen kokett bedeckt.


Aufschwung zum Uschba-Gipfelgrat

Kleiner Uschba beim Abstieg

Triptychon: Dongusorun, Schkelda Tau, Elbrus

Nichts wie raus aus der Schußlinie

Jetzt reicht die Sicht allerdings nicht einmal mehr bis zum Gletscherboden.

Werden die Schi noch im Depot sein, oder hat ein Eisblock sie begraben? Das kann blitzschnell gehen. Ich lerne es beim Aufstieg, als unmittelbar nach einem dezenten Knack ein Eiskasten an mir vorbeirauscht.

Die Schi sind noch da. Rasch auf den Rucksack damit, und nichts wie raus aus der Schußlinie.

Wir wechseln von Eis auf Schnee. Tiefen Schnee. Waren hier vor zwei Tagen auch schon so viele Spalten? Es ist zu warm. Nieselt. Anschnallen und am Seil abfahren? Ich weiß, was das für unkontrollierte Manöver zur Folge hat. Also lieber weiter mit Schi am Buckel. Jede Geländefalte - eine Spalte. Jeder Fuß der tiefer als bis zum Knie einsinkt - ein Tor zur Hölle.

Nervös tasten sich ein Eisgerät und ein Schistock ihren Weg durchs Labyrinth. Manchmal hilft mehrmaliges Hineintreten in den grundlosen Sumpf, um das Vertrauen in die Tragfähigkeit zu festigen.

Ein längst fälliger bodenloser Schrei. Ich fahre zu Hannes herum, sehe in ein fragendes Gesicht. Zieh! Los, zieh! Wir sind drei! David darf nicht untergehen!

Normalerweise würde die Abfahrt über den flachen Schkelda Gletscher nicht unbedingt zu den Höhepunkten einer Bergfahrt zählen. Aber am Fuß des Eisfalls überschwemmen uns die Endorphine und hauchen unseren Schwüngen eine geradezu überirdische Lebendigkeit ein. Das Rauschmittel aus der Hausapotheke, ureigenste Antriebsfeder jedes Bergsteigers, verleiht vielleicht keine Flügel, aber jedem von uns zumindest genügend Selbstvertrauen, um auch noch einen Drahtseilakt über brodelnder Gletschersuppe zu meistern.


Jede Geländefalte - eine Spalte

Euphorie am Schkelda-Gletscher

Schwungvoll ins Trockene

Peters Trocknungs-Strips

Schon zwei Nächte in Scheherazades bunter Gesellschaft geben ausreichend Kraft, um weitere brodelnde Gletschersuppen in Angriff zu nehmen. Eine Russisch-Pantomime verhilft uns zu den Packerln - "Charascho". Tante Olga greift ins Regal zur grünen Brühe, gespickt mit gelbem Schrot - "Spassiba". Bei uns würden selbst Kühe derartigen Futtermais verweigern. Drum merke - lieber mit Aeroflot ums Übergepäck gefeilscht, als in Terskol mit hochlagertauglicher Konservennahrung gerechnet. Und schon füllen sich unsere Rucksäcke zwanglos mit länglichen Spagetti-Paketen und Gußglas-Sugoflaschen. Wir werdens schon raufschleppen, zur launischen Gottheit.


Drahtseilakt, die Erste

Drahtseilakt, die Zweite

Es speist sich gut, im Hotel Scheherazade

Brodelnde Gletschersuppe - köstlich?

Elbrus - ein Berg mit vielen Namen. Jede Volksgruppe an den Flanken nennt ihn ihr eigen. Und er fällt ja auch in vielerlei Hinsicht aus dem Rahmen. Er liegt nicht im Hauptkamm, sondern ragt zehn Kilometer nördlich gleich um etwa tausend Höhenmeter über die Nachbarn hinaus. Den eruptiven Ursprung sieht man ihm dank des endlosen, blendend weißen Umhangs nur an wenigen Stellen an. Ein technisch leichter Berg, heißt es.

Ein schöner Tag, und schon kämpfen sich Bergbegeisterte aus aller Welt vom Ende der Seilbahnanlagen entlang der Stangenmarkierung hinauf zum kaukasischen Busen. Wir stoßen erst bei der Diesel-Hut, der rustikalen Nachfolgerin der ausgebrannten Prijut 11, auf die belebte Autobahn, die sich hinauf zu den Pastukhov Felsen schlängelt.


Elbrus - Ein Gletschermeer

Gleich können wir anschnallen

Zeltlager beim Ice Camp

Die Autobahn hinunter zur Diesel-Hut

Aber wann gibt es schon einmal einen schönen Tag? Nur, wenn Engel reisen. Und natürlich am Geburtstag. Das genügt aber nicht, wimmert der deutsche Flieger, denn er will per Drachen vom Zinken sinken. Fuchur startet aber bei höchstens dreißig Stundenkilometern, und daran ist seit Tagen nicht zu denken. Wer heute am Gipfel stehen will, braucht mehr als zwei Füße. Und steht selbst dann noch schief. Oder er sinkt gleich devot aufs Knie und huldigt der kaukasischen Gottheit. Nur kurz wird das Visier fürs Gipfelbild geöffnet, schon taumelt der wackre Recke wieder höchst zugeknöpft zurück in Richtung Schidepot.

Der Aufstieg dauert lang, besonders, wenn man, so wie David, der erbarmungslosen Göttin gleich mehrere Opfer bringt.

Dafür geht die Abfahrt um so rascher. Kaum bleibt Zeit fürs Luft holen, wir fliegen förmlich hinunter zum Zelt, um kurz darauf leicht hecklastig weiter bis zur Mittelstation zu gischten. Dann ist Schluß. Mit dem Schnee. Eingedenk der Pisten-Großbaustelle legen wir die letzten Höhenmeter mit der Seilbahn zurück. Ein Fehler? Bereits seit einer Viertelstunde stochern verwegene Kaukasier mit einem Knüppel in den Eingeweiden des altersschwachen Räderwerks. Hektische Wortgefechte zwischen Kontrollraum und Personal. Darunter die knallvolle Gondel. Plötzlich Bewegung. Der Gondelführer springt gerade noch in die ausfahrende Kabine. Und der Knüppel? Ich schlage drei Kreuze (natürlich orthodoxe) als sich die Gondel in der Talstation einpendelt. Hoffentlich funktioniert die in Bau befindliche Kabinenumlaufbahn demnächst zuverlässiger.


Prachtwetter ...

... aber stürmisch

Gehts eh noch, David?

Querung zum Sattel

Rrrrrrrooouuuuuummmmmmmmm---mmmmmm--mmmm--mm...

Jetzt reichts aber, Erika, ja?

Am späten Nachmittag räkeln wir uns noch halbnackt auf den Luftmatratzen. Ein Bewohner der Glaziologen-Baracke nimmt sogar ein Vollbad in einem der Gletschermilch-Teiche. Und jetzt das. Alles Planen wieder einmal umasunst. Der Wecker. Sanftes Trommeln am Zeltdach. Weiterschlafen. Erst um sieben blinzle ich aus dem Zelt. Bleigraue Wolken kratzen den Viertausendern den Buckel. Aber es bleibt trocken, und so schlurfen wir um acht doch hinauf zum Schneeschacht der Moskauer Universität. Obwohl uns von einem harten Winter im Baksan Tal berichtet wurde, ist der Chef-Glaziologe unzufrieden. Die Neuschneedecke ist mit fünf Metern Mächtigkeit für Anfang Juni eher unterdurchschnittlich - die Gletscher werden auch im heurigen Sommer wieder ordentlich Eis lassen müssen.


Flanke zum Westgipfel

Huldigung 5642m über dem Meer

Luxus-Lager im Green Hotel, dahinter die Glaziologen-Baracken

Am Dschankuat-Gletscher, im Hintergrund der Dschantugan

Wir sind aber auch mit fünf Metern zufrieden, erlauben sie uns doch immerhin, das Dschantugan Plateau über mehr oder weniger intakte Spaltenbrücken zu erreichen. Was uns im Nacken sitzt, ist die Zeit. Oder besser - der Mangel an. Wir müssen um fünf das Ende der Schotterpiste im Adyl-Su Tal erreicht haben. Das Couloir ist steil und eng, aber noch spitzkehren-verträglich. Halb zwölf. Schulter. Schidepot. Hannes deponiert sich gleich mit. Zu schnell. Zu steil. Peter verschwindet eben über den nächsten Aufschwung. Ich weiß, warum. Er will nichts hören, vom Umkehren. Ich verstehe nur zu gut.

Dschantugans Anziehungskraft ist für uns Süchtige nahezu unwiderstehlich. Der elegante Spitz lockt mit sanft geschwungener, jungfräulicher Gipfelspalte. Idealer Trittfirn. Halb eins. Gipfelschrei. Die Welt liegt uns zu Füßen.

Und fünf? Alles kein Problem. Selbst eine unerwartete Militärkontrolle in enger Schlucht bringt uns kaum noch aus der Fassung, sodaß Andrejs anlaßschwache, aber unersättliche Knatterkiste direkt neben sechs bereits völlig entspannten Bloßfüßen zum Stehen kommt.


Kurz unterm Gumatschi-Gipfel mit Blick zum Green Hotel

Gleich gehts los - Einfahrt in die Gipfelflanke

Blick zurück in die Gipfelflanke

Dschantugan - einfach spitze

Epilog.

Ein herzliches "Spassiba" an unsere Pilger Tatjana (Englisch) und Andrej (Bergisch), die für unsere Sonder(baren)wünsche immer ein offenes Ohr hatten, und, mindestens ebenso wichtig, für verläßliche Logistik sorgten.


Entjungferung der Gipfelspalte

Auffi muaß i - letzte Meter zum Gipfel

Abfahrt von der Schulter zum Dschantugan-Plateau

Militär allerorten - Reservisten, ans Gerät
 
 
Text: Oliver König
Fotos: Peter Mayer und Hannes Macherhammer
Gestaltung: Christian Faltin 2006
Update 9.11.06   Christian Faltin